Kein Hass so stark wie der Selbsthass

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27 Jahre sind laut der Mehrheit der Menschen nicht viele Jahre auf diesem Planeten. Für mich ist es eine Ewigkeit, vor allem wenn man bedenkt, dass mit meinem ersten Suizidversuch vor 19 Jahren hätte Schluss sein sollen. Ich glaube schon daran, dass es einige Aspekte gibt, die mich glücklich schätzen lassen, dass ich am 24. Dezember 2003 nicht von dieser Welt verschwunden bin. Doch bis heute halte ich fest daran, dass viele ohne mich glücklicher gewesen wäre. Vor allem die Menschen in meinem Umfeld, die ich so sehr in mein Leben gespannt habe, dass sie tiefe Gefühle für mich hegen. Etwas, dass ich niemanden wünsche. Ich möchte eigentlich, dass keiner irgendwelchen übermäßigen Gefühle für mich hegt. Aber mich in sein Leben zu integrieren, bringt so viele Facetten von mir mit – von denen die meisten zugegebenermaßen nicht gut sind.

Ich kann mich an wundervolle Erlebnisse mit Menschen erleben, die mich bis heute mit Glück erfüllen. Die vielen Jahre am Obereiderhafen, an denen ich mitunter die interessantesten Menschen kennen gelernt – und auch wieder verloren haben. Die Jahre, in denen ich in beiden Händen Freunde mit mir hatte und wir über den Herbst gezogen oder den Jahrmarkt besucht haben. Wie mich meine beste Freundin in den Breakdancer gezwungen hat, vor dem ich doch so viel Angst hatte – und im Anschluss noch so viele Male mehr hinein wollte.

Die vielen Feiern und Sit-Ins, die ich mit den unterschiedlichsten Menschen verbracht habe. Im Garten von Denise, in denen ich meinen ersten und einzigen Freund kennen lernte, die Dorfdiscos, die am Ende doch besser waren als der edelste Club, den ich jemald besuchte oder besuchen werde. Die Make-Do Grillfeiern, an denen wir einander kuschelten, und uns unsere tiefsten Gefühle erzählten – einander zuhörten, einander verstanden, vertrauten.

All diese Erlebnisse werde ich niemals vergessen – zumindest sofern mein Gehirn mir nicht irgendwann nachgibt. Doch sie können nicht dem gegenüber weichen, dass ich so vielen Menschen angetan habe. Und dem, was andere mir angetan haben – und vielleicht noch tun werden.

In einer bislang dreijährigen Pandemie habe ich mehr Schlechtes in mir entdeckt und von mir reflektiert, als dass ich es jemals wieder aufwiegen könnte. Ich denke, dass der Pool nicht mehr mit Wasser ausgeglichen werden kann, sondern immer ein bisschen trocken bleibt. Vielleicht sorgen ein paar wohltuende Worte meinerseits in einer Situation, in der ein Freund oder eine Freundin einen Rat von gerade mir benötigen und den ich ihn geben kann und der ihnen gut tut dafür, dass ein paar Tropfen in den Pool hinein fließen. Doch beim nächsten Sonnenschein werden auch diese Tropfen wieder verdampfen und das trockene Ungetüm hervor bringen.

Schon in meinen frühesten Erinnerungen habe ich Dinge getan, die ich niemals vergessen werde und die ich mir niemals verzeihen kann, genau so wenig wie ich denke, dass sie mir jemals verziehen werden können.

Eine der schlimmsten Erinnerungen, die mir sofort vors Auge springen ist der Moment, in der mein Bruder mir nach einem Streit zu meinem Geburtstag ein Geschenk machen wollte – ich muss vielleicht neun oder zehn gewesen sein. Und ich habe sein Geschenk abgelehnt und ihm gesagt, er solle es behalten. Ich habe meinen Bruder nie weinen sehen, bis auf diesen Tag und nie wieder danach. In meinem Kopf bin ich der erste und einzige Mensch, der meinen Bruder zum weinen gebracht hat. Einen Menschen, den ich so sehr bewundere und den ich so sehr liebe, wie es Worte nicht beschreiben kann. Wir sind inzwischen erwachsen geworden und mein Bruder hat mir diesen Moment unzählige Male verziehen. Doch bis heute muss ich weinen, wenn ich daran denke, wie diese wenigen Worte diesen gestandenen Mann so sehr verletzen konnten.

Und solche Erlebnisse ziehen sich bei mir bis in das heutige Leben hinein. Etwas, dass mir das Herz zerbricht und dennoch absolut verständlich ist und bei dem ich auch nie etwas anderes erwarten würde, war der Moment, an dem meine beste Freundin mir zum ersten Mal von ihrer Hochzeit erzählt hat. Ihre Freundin, deren Makeup ich für die Hochzeit gemacht habe, hat sich vorgenommen, keine Brautjungfer einzubeziehen – einfach, weil sie keinen Sinn darin sieht. Meine beste Freundin tut das gleiche, aber aus anderen Gründen. Und ich bin einer davon. Denn sie hat ihr Vertrauen in ihre besten Freunde verloren, in meinem Fall aus furchtbaren Gründen, die ich bis heute bereue.

Sie kann einfach keinem Menschen vertrauen, diese Rolle zu übernehmen – es ist schließlich ungewiss, ob man tatsächlich ein Leben lang zusammen hält und den Namen auf der Urkunde ein Leben lang sehen möchte. Und ich bin der Grund dafür, dass sie sich diese Gedanken machen musste. Etwas, dass mir in zweifacher Weise leid tut. Die Erste ist offensichtlich: das ich ihr diesen Gedankengang gebe, der andere warum das zustande kommen ist.

Denn in meiner – ich nenne es frühen Jugend; in einer Zeit, in der ich keine Kontrolle genoss und mich allem hingab – sei es Drogen, Alkohol oder Männer – habe ich etwas getan, dass ich niemals aus unser beiden Lebengeschichten löschen kann. Ich habe mit ihrem Freund geschlafen. Es war eine scheiß Situation und könnte ich wie ich wollte, hätte ich an diesem Tag einfach nicht die Tür für ihn geöffnet. Doch ich tat es. Und das sie diese unfassbare Kraft bewies, mir zu verzeihen und mich bis heute in ihrem Leben zu haben, ist eine der mental stärksten Dinge, die ich jemals erlebt habe. Eine so starke Frau zu erleben, die über so eine Gräueltat hinweg sehen kann. Oder bis vor Kurzem eben den Schein hierzu hielt.

Denn vor wenigen Wochen, als sie mir erzählte, dass sie aus Vertrauensgründen keine Brautjungfer einbeziehen möchte, ist mir seit langem das erste Mal wieder klar geworden, wie ich ihr Leben auf so eine grausame Art und Weise beeinflusst habe. Und ich kann nicht anders als unendlich dankbar dafür zu sein, dass sie mich weiterhin an ihrem Leben teilhaben lässt und das noch als ihre beste Freundin.

An diesem Tag ist mir auch bewusst geworden, warum Beziehungen für mich so unwirklich wirken und ich glaube, dass jeder männliche Teil einer Beziehung mich hasst. Es ist der Hass auf mich selbst, den ich in jede Beziehung porträtiere. Bis heute glaube ich zum Beispiel, dass ihr Freund mich hasst. Um genau zu sein, dass mich jeder Freund einer jeden Frau hasst. Und man kann mir sagen was man will, aber dieser Gedanke bleibt. Es ist eine Kombination aus Selbsthass und Selbstschutz, der zugleich mich und andere vor mir selbst schützen soll.

Und dabei habe ich in diesen 12 Jahren so sehr versucht, mich besser zu finden. Doch ich schaufele mich einzig und allein in Verbindungen, in der nach einem Treffen der Funke wegfällt. Denn wer könnte mich schon lieben? Und wie könnte ein Mann nicht davon ausgehen, dass ich ihm genau das antun würde, dass ich meiner besten Freunden antat.

Es ist eine Spirale des Selbsthasses, die von Tag zu Tag stärker wird. Nicht nur wegen der gerade beschriebenen Situation, sondern auf Basis derer, dass ich mir selber keinen guten Gedanken anziehen kann. Nichts und niemand auf dieser Welt kann mich so sehr hassen, wie ich jeden einzelnen Aspekt an mir hasse. Ich hasse mein Aussehen, meine Größe, mein Verhalten, wie ich rede, wie ich rieche, wie ich mich bewege, was ich sage.

Obwohl ich schon viele Leben gelebt habe und Freunde und Familie in meinem Umfeld habe, die alles an mir lieben, mich umarmen, mir ihre Liebe, Wärme und Zuneigung schenken, werde ich all das niemals annehmen können. Ich werde niemals zugeben können, dass Gefühle für mich echt sind. Und das bedeutet für mich auch ganz einfach ein Leben ohne Liebe. Denn wenn nur ein Funken davon in mein Leben kommen wird, werde ich ihn ruinieren.

Bis heute weiß ich nicht, wie jemand einen solch dreckigen Abschaum wie mich freiwillig in sein Leben haben will. Und doch bin ich umgeben von Menschen, die mich lieben, mit mir lachen, mit mir weinen. Obwohl sie einfach umdrehen und sich etwas besseres suchen sollten. Etwas und Jemand, der es wert ist, geliebt zu werden.

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